Die Liebe zur Literatur in Zeiten von Corona – Teil III

Die Liebe zur Literatur in Zeiten von Corona – Teil III

Was eignet sich besser, um an den morgigen Tag der Arbeit zu erinnern als mit dem Thema „Arbeit und Digitalisierung“ einen weiteren Aspekt unserer neuen Ausstellung #neuland und drei begleitende Buchtitel unserer Museumsbibliothek vorzustellen? Im besten Fall regt uns Literatur in Zeiten sozialer Einsamkeit, Prekariat und Arbeitsplatzverlust durch Corona zum Nachdenken an: über die Bedeutung von Arbeit in unserer Gesellschaft und für uns selbst. Aber auch über unseren Grad an Digitalisierung mit all seinen Grenzen und Möglichkeiten.

Die Produktivkraft der digitalisierten Massen

Wie kann eine an Marx orientierte Analyse den aktuellen technologischen Wandel erklären? Das Buch: „Marx und die Roboter“, herausgegeben von Sabine Nuss und Florian Butollo, stellt entlang Marx‘ Vorhersage zur Vollautomatisierung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts Entwicklungen in der digitalisierten Arbeitswelt dar. Der Begriff der Produktivkraft bildet den Ausgangspunkt und sozialhistorischen Kontext, in den hier die Digitalisierung gestellt wird und analysiert aktuelle Veränderungen unserer Arbeitsweise. Dabei verbleibt die Kritik nicht in der soziotechnischen Dystopie des vom Roboter ersetzten Menschen, sondern zeigt auf, dass neue Technologien das menschliche Arbeitsvermögen noch stärker beanspruchen und deshalb eine aufwendige Neugestaltung der Arbeitsorganisation erfordern. Künstliche Intelligenz und die teils wundersamen Erwartungen, die Marktprognosen an sie stellen, werden hier aber nicht als Lösung dieser Neugestaltung gesehen, sondern als in ihrem gesellschaftlichen Nutzen eher beschränkt, sofern Wirtschaftsplanung im digitalen Zeitalter nicht nachhaltig und demokratisch gedacht wird. Die Digitalisierung als Gesicht des Gegenwartskapitalismus, reflektiert in differenzierten Aufsätzen von 16 Autor*innen als ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte.

Nuss / Butollo (Hg): Marx und die Roboter. Vernetzte Produktion, Künstliche Intelligenz und lebendige Arbeit.  Berlin : Dietz Verlag. ISBN: 978-3-320-02362-

Die Gestaltbarkeit von Arbeit

Auch wenn mit seinem Erscheinungsjahr 2010 das erwähnte Morgen eigentlich unser Heute ist, ist die Frage: „Wie wollen wir leben und arbeiten?“ des Buches „Die Arbeitswelt von morgen“ nicht weniger aktuell als vor zehn Jahren. Der Sammelband, herausgegeben von Karin Kaudelka und Gerhard Kilger, beinhaltet Positionen aus sechs Talkrunden des interdisziplinären Symposiums „Constructing the future of work – wie wollen wir leben und arbeiten?“ der DASA. Als existentieller Teil unseres Lebens kreist das Thema Arbeit immer um die Frage von Freiheit und Notwendigkeit:

Ob die Entgrenzung zwischen Arbeit und Leben eine gelungene work life balance oder eine ungesunde Vermischung zweier wichtiger Bereiche menschlicher Lebenswelt ist, kann sehr verschieden beantwortet werden, aber nur von jenen, die überhaupt die Wahl haben, mobile und flexible Arbeit nutzen zu dürfen und über die technischen Voraussetzungen dafür verfügen. Ob man ungerechter Bezahlung mehr entgegen setzen kann als Frustration und Jobwechsel, hängt wesentlich mit der persönlichen sozialen Situation zusammen. Und „life long learning“ ist zuweilen einseitige Forderung statt Förderung. 

Die Beiträge des Buches behandeln Themen der Arbeitsmarktpolitik und Personalentwicklung, Grundeinkommen und soziale Ungleichheit, beleuchten sozialpsychologische Aspekte und entwerfen Visionen vom zukünftigen Arbeiten. Ihnen gemeinsam ist die Suche nach Antworten auf die Frage nach der Gestaltbarkeit von Arbeit.

Kaudelka / Kilger (Hg.): Die Arbeitswelt von morgen. Wie wollen wir leben und arbeiten?.  Bielefeld : transcript Verlag, ISBN: 978-3-8376-1423-7

Nachhaltig und ohne Angst

Gestaltungsfelder des digitalen Wandels beschreibt auch das Buch „Die Zukunft ist menschlich“ von Andera Gadeib. Wie der Titel vermuten lässt, ist das Thema Arbeit hier als eines von mehreren Themen eingebettet in eine ganzheitliche Betrachtung: Die Autorin liefert ein starkes Plädoyer, den Menschen als Subjekt in den Mittelpunkt zu stellen – auch in Zeiten des technologischen Fortschritts und umfassenden digitalen Wandels. Das Buch möchte damit eine positive Gegenthese setzen zu angstvollen Mediendebatten angesichts Künstlicher Intelligenz und der Veränderungen in der digitalen Arbeitswelt. Es richtet sich mit Beispielen aus der digitalen und analogen Welt sowohl an Menschen, die ihre allerersten Schritte im Bereich Social Media machen als auch an Arbeitgeber, die ihre Einstellung zu einem lösungsorientierten Herangehen an die Digitalisierung verbessern möchten. Nachhaltig fit für die Zukunft durch das „Manifest für einen intelligenten Umgang mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft“.

Gadeib, Andera: Die Zukunft ist menschlich. Manifest für einen intelligenten Umgang mit dem digitalen Wandel in unserer Gesellschaft. Offenbach : GABAL Verlag, ISBN: 978-3-86936-930-3

 

Mehr zu unseren Beständen im Online-Katalog

Für mehr Literatur zu Themen der aktuellen Ausstellung könnt Ihr unter dem Stichwort „Leben & Lernen“ im Online-Katalog stöbern.

Wir hoffen, Euch bald wieder im Museum und in der Bibliothek zu sehen. Bleibt gesund!

 

Autorin: Sandy Lang, 30. April 2020

Freundschaft ist für mich… Einblick in das Museumsprojekt „Smart im Museum“

Freundschaft ist für mich… Einblick in das Museumsprojekt „Smart im Museum“

In unserem Schwesterhaus in Berlin wird aktuell die Ausstellung „Like You! Freundschaft digital und analog“ gezeigt. Auch wir erleben Freundschaften in Zeiten der Corona-Pandemie auf eine ganz neue Weise: Weniger analog, mehr digital. Über die unterschiedlichsten Plattformen wie Zoom, Skype und Teams kann man sich mit seinen Freund*innen zum Quiz-Pub spielen, zur gemeinsamen Yoga Stunde oder zum Feierabend Apéro zusammenschalten. So zumindest ein Gefühl von Gemeinschaft erhalten und seine Freundschaften pflegen. Die Sehnsucht nach freundschaftlicher Nähe nimmt in der aktuellen Situation nicht ab, auch wenn wir alle nach „social distancing“ streben.

Noch vor der Corona Krise, im Herbst 2019 wurde sich auf eine ähnlich aber doch nochmals andere Art und Weise über die Verbindung von Digitalisierung und Museum im Museum für Kommunikation Gedanken gemacht. Mehr als Dreiviertel aller Kinder und Jugendliche besitzen ein Handy, jedoch spielen Museen im Lebensalltag der Heranwachsenden oft keine Rolle.

Die Aufgaben nahm sich unser Berliner Museumspädagoge Stefan Jahrling an und startete das Projekt: „Smart im Museum – Mediatisierte Beziehungen und Digitale Medien“, welches Teil des Förderprogrammes „Museum macht stark“ ist. Für den Projektleiter gibt es immer noch zu wenig Angebote, die sich auf die Aneignungsweise und die medialen Gewohnheiten von der Zielgruppe einlassen und die das Potenzial digitaler Medien für die kulturelle und museale Bildungsarbeit ausschöpft. Mit seinem Projekt wollte er zeigen, dass Museen eine Inspirationsquelle sein können, um sich als junger Mensch in der Welt zu orientieren und an Gesellschaft teilzuhaben. Anknüpfungspunkt sollte die Ausstellung „Like You! Freundschaft digital und analog“ sein. Denn Freundschaft spielt, insbesondere in diesen Lebensjahren entwicklungspsychologisch betrachtet, ein zentrales Thema und sollte so als Türöffner dienen.

Das Museum als Ort aktiver Mitgestaltung

Ziel des Projektes war es, die Ausstellung um die Perspektive der Heranwachsenden zu erweitern. Die Teilnehmer*innen sollten erfahren, dass ein Museum nicht nur ein Ort ist an dem sie Wissen vermittelt bekommen, sondern ein Ort, den sie aktiv mitgestalten können. Ganz konkret mündete das Projekt in einer “Filmfahrt”. Zehn Jugendliche aus Berlin fuhren für ein Wochenende in das Museum für Kommunikation Frankfurt. Sie wurden angeregt sich mit dem Thema Freundschaft auseinanderzusetzen. Welche Unterschiede gibt es in der analogen und digitalen Freundschaft? Inwiefern haben sich die sozialen Beziehungen verändert und wie können die Erfahrungen der Jugendlichen in der Ausstellung aufgegriffen werden? Sie führten Interviews mit Besucher*innen und tauschten sich untereinander über ihre ganz persönlichen Vorstellungen von Freundschaft aus. Herausgekommen ist eine kleine, spannende Reportage.

Die Ausstellung vor Ort und digital

Die Ausstellung „Like You! Freundschaft digital und analog“ ist leider nicht mehr im Museum für Kommunikation Frankfurt zu sehen, dafür jedoch in unserem Schwesterhaus in Berlin. Sie setzt sich mit der Frage auseinander was für jeden einzelnen von uns Freundschaft bedeutet. Wo und wie finden wir heute Freunde? Und hat sich unsere Art und Weise wie wir Freunde finden und Freundschaften pflegen durch die Digitalisierung verändert?

Wenn euch der Weg nach Berlin zu weit ist, dann könnt ihr die Ausstellung – ganz bequem vom heimischen Sofa aus, in unserem Expotizer besuchen.

Text: Caroline Dörr, 29. April 2020

Konservierung und Restaurierung im Depot – Erfahrungen aus drei Monaten Praktikum

Konservierung und Restaurierung im Depot – Erfahrungen aus drei Monaten Praktikum

In dieser Woche nutzen wir den #DepotDienstag, um uns von unserer Kollegin Jihye Kim zu verabschieden. Sie war in den vergangenen drei Monaten als Praktikantin in der Restaurierungswerkstatt Teil unseres Teams. Sie hat zum Abschluss einen kleinen Bericht über ihre Zeit beim Museum für Kommunikation Frankfurt und dem Sammlungsdepot in Heusenstamm verfasst.

 

Wissenschaftliche Praxis im Depot

Das Studium der Konservierung und Restaurierung umfasst in den zehn Semestern, die bis zum Master-Abschluss vorgesehen sind, nicht nur zahlreiche Theoriemodule wie etwa Materialkunde oder Chemie, sondern auch einen hohen Praxisanteil. Die meisten Fakultäten verlangen vor einer Bewerbung einen Nachweis über ein Vorpraktikum, das zwischen einem und zwei Jahre dauert. Während des Studiums absolvieren die Studierenden zudem noch Fachpraktika in Museen und Ateliers. Denn die Möglichkeit, das erlernte Wissen praktisch umzusetzen, ist für dieses Studium essenziell.

Auch beim Museum für Kommunikation können Studierende ihr Vor- oder Fachpraktikum im Schwerpunkt ‚Technisches Kulturgut und moderne Materialien‘ ableisten. In den letzten drei Monaten hat Jihye Kim, eine Studentin an der französischen Ecole supérieure d’art d’Avignon, ein solches Praktikum im Sammlungsdepot Heusenstamm absolviert. Die gebürtige Südkoreanerin spricht fließend Französisch und Englisch und hat zum Abschluss einen persönlichen Text verfasst, in dem sie Einblicke in ihre Tätigkeiten und Erfahrungen gewährt. Ihre Betreuerin, Julia Hammerschmied, hat den Text für uns aus dem Englischen übersetzt:

Mein dreimonatiges Praktikum im Sammlungsdepot in Heusenstamm brachte mir eine Fülle von Eindrücken. Ich bewegte mich nicht nur im großen Feld der Konservierung, sondern auch in den Bereichen der Technik und der Geschichte der technischen und industriellen Objekte.

Kommunikation bedeutet für mich, etwas von einer Person zu einer anderen weiterzugeben. Das Museum für Kommunikation in Frankfurt ist für mich ein Ort, der konstant mittels der Sammlungsobjekte mit seinen Besucher*innen kommuniziert. Dafür werden die Objekte in unterschiedlichen Zusammenhängen gezeigt, um einen vielfältigen Zugang zu ermöglichen. Dies erzeugt eine Interaktion zwischen Besucher*innen und Objekten, die nur gemeinsam funktioniert und die eine einzigartige Erfahrung ist.
Daher war es für mich eine Bereicherung, diese Objekte konservatorisch und restauratorisch zu bearbeiten. Vor allem die unterschiedlichsten Spuren des Gebrauchs und die physikalische Entwicklung der Materialien waren beeindruckend.

 

Restaurierung & Corona

Die meiste Zeit während meines Praktikums arbeitete ich eng (aber mit räumlichem Abstand) mit der Restauratorin des Museums, Julia Hammerschmied, zusammen. Sie und die anderen Kolleg*innen der Sammlungsabteilung unterstützten mich in meiner Arbeit und gaben mir Einblick in die verschiedenen Museumsabläufe. Die Corona-Pandemie machte auch vor dem Sammlungsdepot keinen Halt. Dies hatte natürlich auch Folgen für den Arbeitsalltag von meinen Kolleg*innen und mir. Während viele ins Home-Office wechselten, war es für mich und meine Betreuerin schwer möglich, von zu Hause zu restaurieren. Glücklicherweise verfügt das Depot über mehrere Werkstätten und separate Magazine, sodass wir unsere Arbeit fortsetzen konnten.

 

Ausstellungen

Während des Praktikums war ich unter anderem am Aufbau der Wechselausstellungen „Germania“ und „#neuland“ beteiligt. Neben einigen Objekten aus der Abteilung Kunstgewerbe arbeitete ich zuletzt vor allem an einer Auswahl von Radiogeräten, die für die große Ausstellung zum 100-jährigen Jubiläum des Rundfunks (geplante Eröffnung im September 2020 in Berlin) vorgesehen sind.

Maßnahmen der Restaurierung

Die ergriffenen Maßnahmen der Restaurierung dienten vor allem dazu, den originalen Zustand des Objekts aus der Zeit der Entstehung bzw. der Benutzung zu zeigen. Verschmutzungen der Oberfläche sowie Risse und Brüche stören die Originalität, die Historizität und die Ästhetik des Objekts. Meine restauratorisch-konservatorischen Arbeiten konzentrierten sich daher auf das Reinigen, Kleben, Ergänzen und Retuschieren. Für mich war es eine einzigartige Erfahrung in diesem Museum. Ich lernte verschiedene Techniken im Umgang mit Objekten kennen und konnte neue Impulse für meine kommende Master-Abschlussarbeit aufnehmen. (Jihye Kim)

 

Wir bedanken uns bei Jihye Kim für die Unterstützung im Depot und die gemeinsame Zeit und wünschen Ihr alles Gute für ihr weiteres Studium!

 

Text: Jihye Kim/Julia Hammerschmied, 28. April 2020

Stay at Home-Podcasttipps: #OER

Stay at Home-Podcasttipps: #OER

Für viele Menschen gilt derzeit: Stay at Home – Bleibt zuhause! Räumliche Distanzierung muss aber nicht soziale Distanzierung bedeuten. Es gibt viele Medienformate, die es uns ermöglichen, uns auszutauschen, voneinander zu Lernen und Geschichten zu erzählen. “Schon jetzt gibt es Enkel, die ihren Großeltern einen Podcast aufnehmen, damit sie nicht einsam sind” erklärte Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache zum Stand der COVID-19-Maßnahmen der Bundesregierung. Mit “Stay at Home-Podcasttipps” stellen wir regelmässig Podcasts zu Themen der Digitalisierung vor.

Open Educational Resources

Bei der Wahl der Themen orientieren wir uns zunächst an den Episoden unseres Erklärpodcasts zum Digitalen Wandel. Der Leben X.0-Podcast ist im Sommer 2019 gestartet und erklärt Schlagwörter der Digitalisierung. Zu dem jeweiligen Themenfeld existieren natürlich viele weitere Podcast-Episoden anderer Podcastproduzent*innen, mit denen man ebenso seinem Horizont erweitern kann. Wir stellen einzelne Episoden zu Open Educational Resources (OER) vor.

 

Leben X.0-Erklärpodcast zum digitalen Wandel

Der Leben X.0-Podcast ist Teil unseres Dialogprojekts “Leben & Lernen X.0”, in dem im Dialog mit der Bürgerschaft Fragen zur Zukunft der Bildung, Abeit und Demokratie verhandelt werden. “Was sind OER?” heißt es in dieser Episode. Als Co-Moderator ist dieses Mal Stefan Jahrling dabei, er arbeitet als Medienpädagoge am Museum für Kommunikation Berlin. Nach einem Blick in die Wikipedia entfalten drei Expert*innen den Begriff der Open Educational Resources (OER) aus unterschiedlichen Blickrichtungen.

zugehOERt! – der Podcast rund um Open Educational Resources (OER)

Wie funktionieren Open Educational Resources in unterschiedlichen Anwendungsbereichen? Jöran Muuß-Merholz spricht seit 2015 für  OERinfo – Informationsstelle OER mit Akteuren aus der Hochschule, Weiterbildung aber auch schulischen und ausserschulischen Bildung. Themen sind Formate, Lehrprojekte sowie nationale oder internationale Entwicklungen der OER. Der Podcast selbst steht unter der CC BY 4.0-Lizenz. Aufgezeichnet beim OER-Campin Hamburg unterhalten sich Dejan Mihajlović, Philippe Wampfler und Jöran Muuß-Merholz über die “Kultur des Teilens”.

 

Weitere Podcasts zu OER:

Zum Füllen Eurer Podcast-Vorräte habe ich bei der Podcast-Suchmaschine FYYD eine Sammlung erstellt und zudem hier eine Linkliste mit Episoden zum Thema OER zusammengetragen. Bei Fyyd kann man thematisch nach weiteren Podcasts suchen, wer genau schaut, findet dort eine detaillierte Suchfunktion, die man nach Sprache, Episodenlänge und Erscheinugszeitraum verfeinern kann.

 

Autorin: Tine Nowak
27. April 2020

 

Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Virologen sprechen davon, dass es sich bei Covid-19 um eine sogenannte „stille Pandemie“ handele – das Virus breitet sich rasend schnell, doch unbemerkt aus. Auch Städter*innen erleben jetzt in den Ballungszentren eine neue Stille: Der Verkehrslärm geht zurück, die Straßen sind unbelebt, Flugzeuge fliegen kaum … Jetzt, da wir uns an diese neue Stille gewöhnt haben, läge es dann nicht nahe, dass die Automobilbranche die Elektromobilität – die für eine Fortbewegung ohne Knattern steht – weiter vorantreibt und noch intensiver in diese Zukunftstechnologie investiert? Joel Fischer hat sich in Vorbereitung auf unsere Ausstellung „elektro ± mobil“ (21. März 2019 bis 13. Oktober 2019) intensiv mit den Vorzügen und Nachteilen der neuen Technologie beschäftigt. Er beantwortet uns hier im Blog, ob die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen durch Corona neuen Schwung in die (wie sich zeigen wird: alte) Debatte um Elektromobilität bringen wird. 
  • Glaubst Du, dass die neue Stille, die wir jetzt erleben die Elektromobilität weiter beflügeln wird?
Joel Fischer: Ja, es wäre schön, wenn sich die Stille fortsetzen würde. Da die Leute aber schon in den Startlöchern sind und vielfach über den verlorenen Sommerurlaub und verschobene Reisen klagen, wird sich nach dem Lockdown wahrscheinlich erstmal nichts verändern. Und: Die Flugzeuge werden so schnell nicht leiser werden. Auch das Verkehrsaufkommen kann durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge nicht reduziert werden.
Einfach die Antriebstechnik auszutauschen, reduziert nicht die Menge an Autos auf den Straßen und in den Innenstädten. Ich glaube nicht, dass die momentane Stille ein Argument für die Zukunft der Elektromobilität sein wird.
Joel Fischer

Rückblickend wird sie eher als ein “angenehmes Erlebnis” empfunden werden. So war es auch mit den autofreien Sonntagen. Das fanden die Menschen auch toll. Als die Einschränkungen aber aufgehoben wurden, waren alle froh, dass sie wieder mobil waren und die Straßen waren wieder voll. Ich sehe eher in den nun vielerorts verbesserten Schadstoffmesswerten einen Impuls, der möglicherweise zu einem Umdenken führen könnte. Doch auch hier stellt sich das Problem, dass wir derzeit in einer Sondersituation sind. Nach der Krise wird die Industrie wieder produzieren und der Verkehr wieder zunehmen – und dann ist alles beim Alten.
  • Gab es damals, als die Post elektrisch-angetriebene Fahrzeuge entwickelte, auch Überlegungen, wie sich die neue geräuscharme Fortbewegungsart auf unser Zusammenleben in Stadt und Land auswirken würde? 
Joel Fischer: Die frühen Elektroautos der Post waren gar nicht so leise, wie wir heute denken. In den 1920er-Jahren wurden die E-Autos der Post mit Ketten angetrieben. Das war zwar nicht so laut wie ein Benziner, doch es knatterte ziemlich. Später, in en 1950er-Jahren, waren sie dann etwas leiser, aber auch nicht geräuschlos. Die Fahrzeuge klangen, bzw. summten damals wie heute die S-Bahnen. Überlegungen zum Verkehrslärm gab es nachweislich Ende der 1950er-Jahre, als die Post aufhörte Elektroautos herzustellen, weil ein neues Steuergesetz kam, das den Unterhalt wesentlich verteuerte. Damals nannten Expert*innen unter anderem die Luftverschmutzung und den Lärm in den Städten als Grund, weshalb die Elektroautos weniger besteuert werden sollten. Der Bundestag ignorierte aber die Einwände. Zuvor galt das Elektroauto zwar als leises (Stadt-)Fahrzeug, aber anfänglich – in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts – ging es eher um den Benzin-Gestank, der bei den Elektroautos wegviel. Der Lärm der Motoren war damals auch ein Argument, aber umfangreiche Überlegungen zu den Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Stadt sind mir nicht bekannt.
  • Könntest Du eine Zukunftsprognose treffen, wie Deutschlands Schlüsselbranche, die Automobilindustrie, auf die Einschneidungen reagieren wird? Werden wir einen Boom der Elektromobilität erleben, jetzt, da auch der Ölpreis immer volatiler wird?
Joel Fischer: Ich glaube, dass niedrige Ölpreise eher gegen die Elektromobilität sprechen, weil dann das Autofahren mit Benziner billiger ist. Vor den Corona-Einschneidungen hat die Automobil-Branche ja bereits begonnen in die Elektromobilität zu investieren. Ich glaube, dass dieser Kurs auch nach dem Lockdown weitergeführt werden wird – ungeachtet der Ölpreise. Am Ende geht es ja um die Rohstoffknappheit und die Abhängigkeit vom (schwankenden) Ölpreis. Und der wird nach der Krise sicherlich wieder steigen. Von einem postpandemischen Boom gehe ich deshalb nicht aus. Die Entwicklung wird aber, denke ich, unbeirrt weitergeführt werden.
  • Wie stark bringen globale Verwerfungen (wie etwa die Ausbreitung des Virus) neue Technologien hervor? Welche Entwicklungssprünge in der Elektromobilität konntest Du beobachten, die getrieben waren von politischen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen? 
Katastrophen und Seuchen sind immer in gewisser Weise eine Zäsur, die auch technologische Entwicklungen beeinflussen. Im zweiten Weltkrieg beispielsweise erinnerte man sich an das Elektroauto, weil es nicht auf Öltransporte aus dem Ausland angewiesen war. Ebenso in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre.
Joel Fischer

Nach dem Krieg und als das Öl wieder da war, verlor sich das aber wieder. Ein direkter Zusammenhang für die Gesamtentwicklung durch “globale Verwerfungen” kann deshalb für die Elektromobilität nicht bestätigt werden. Ich glaube, dass die Corona-Pandemie eher in anderen technologischen Bereichen eine nachhaltige Auswirkung haben könnte. Der Lockdown forciert das mobile Arbeiten, das Homeoffice und damit die Digitalisierung. Auch privat spielen Kommunikationsmedien eine größere Rolle. Ich glaube, dass es eher in diesen Bereichen einen Zulauf geben wird. Insbesondere im Bereich des Homeoffice haben viele die Vorteile erkannt und bemerkt, dass das gar nicht so schlecht ist. Auch Skype-Gespräche oder Plattformen wie Zoom oder Jitsi finden Zulauf und werden sicherlich auch nach der Krise stärker genutzt. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen wird es im Bereich der Technologie aber höchstwahrscheinlich nicht geben. Aber man weiß ja nie. Ich bin gespannt, was kommen wird. 

Übrigens: Der Wagen La Jamais Contente (frz: Die nie Zufriedene), der auf dem Titelbild dieses Beitrags zu sehen ist, war ein elektrisch betriebener Geschwindigkeitsrekordwagen, der als erstes Straßenfahrzeug eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h erreichte.

Interview: Regina Hock, 25. April 2020