Ein Echo klingt immer nach

Ein Echo klingt immer nach

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Als wir in den Jahren 2019/20 die Ausstellung »ON AIR« ausgearbeitet und geplant haben, ahnten wir nicht, wie relevant manch vermeintlich historisches Thema im Jahre 2022 werden würde.

Unter anderem zeigt die Ausstellung die Rolle des Rundfunks im Krieg, in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlich zu bewertenden Rollen: als »Waffengattung«, als Propagandainstrument oder als Medium des Widerstands. Mit dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 rückt auch die mediale Berichterstattung über Hintergründe, Verlauf und potenzielle Perspektiven der Kampfhandlungen in den Mittelpunkt. In den Sozialen Netzwerken werden quasi ununterbrochen Live-Materialien publiziert, Meinungen geschrieben und gesprochen, ungeprüfte Meldungen verbreitet. Die Invasion der Ukraine ist auch ein medial geführter Krieg. Desinformation auf Seiten Putins soll den Überfall legitimieren und Bevölkerung wie Armee im Unklaren über die wahren Gründe des Krieges lassen. Nun fiel diesem Krieg Echo Moskwy zum Opfer.

Seit 1990 sendete der nicht-staatliche Radiosender Echo Moskwy, das Echo Moskaus, aus der Hauptstadt der Sowjetunion bzw. späteren russischen Föderation. Die Geschichte der populären Station ist bewegt: aktiver Widerstand gegen einen KPdSU-Putschversuch im Jahre 1991, ein Attentat auf das Personal 2017 und nun zuletzt die Abschaltung im März 2022. Das Echo Moskaus galt als vom Kreml nicht kontrollierter, kritischer Sender und bot mitunter ungehörten, oppositionellen Stimmen eine Plattform. Die Inhaltshoheit lag laut Statuten beim Chefredakteur. Diesen Status in Putins Russland einzunehmen und aufrecht zu erhalten, kommt einem Drahtseilakt gleich – Konzessionen einzugehen, um weiterhin arbeitsfähig zu bleiben, gehörte sicherlich zur Senderstrategie und musste auch dazugehören: Die Gazprom-Media-Holding, staatlich getragen und Eigentümerin mehrerer TV- und Radiostationen, hält das Gros der Aktienanteile des Echos, der Chefredakteur Alexej Wenediktow unterhielt durchaus Beziehungen zum Kreml.

Nachdem Echo Moskwy über den Angriffskrieg – ein Krieg, der laut Putin keiner ist – berichtete, wurde am 1. März der Radiosender vom Netz genommen und die Website gesperrt. Die Berichterstattung, die Begriffe wie »Angriff«, »Invasion« und »Kriegserklärung« nutzte, passte nicht zum propagandistischen Kanon des Kremls. Wenige Tage später fiel die Entscheidung, alle Kanäle einzustellen, inklusive des YouTube-Kanals, der noch zuletzt zugänglich war. YouTube hat zeitgleich die Funktion eines Medienarchivs übernommen; dort lassen sich, aufgezeichnet von Nutzer:innen, die letzten Live-Stunden des Senders finden. Über den Messengerdienst Telegram verkündete Wenediktow das Ende des Echos: »Der Verwaltungsrat von Echo Moskwy hat mehrheitlich entschieden, den Radiosender und die Website aufzulösen.« Dabei darf nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich hierbei um einen gewaltsam herbeigeführten Schritt handelt, einen Versuch, freie, unabhängige Berichterstattung zum Schweigen zu bringen; einen Versuch, einen Krieg, der potenziell Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit über die Bevölkerung eines souveränen, europäischen Landes zieht sowie globale Folgen mit sich bringt, zu rechtfertigen.

 

Florian Schütz ist Kurator der Ausstellung »ON AIR. 100 Jahre Radio« und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Museum für Kommunikation Berlin. Er ist der Meinung, dass die Reflektion der eigenen Medienkompetenz und des allgemeinen Nachrichtenkonsums wichtiger ist denn je.