Lauch oder Spargel – wie digitale Tools das Klima retten

Lauch oder Spargel – wie digitale Tools das Klima retten

Wie die Klimabewegung jeden Freitag auf die Straße geht (und während Corona den Protest ins Netz verlagert), traf sich bis März alle drei Wochen der Digital Club freitags im Museum. Axel Stolzenwaldt, Lehrer, Buchhändler, Softwareentwickler und IT-Consultant, hat den Digital Club über ein halbes Jahr betreut. Im Kurzinterview erklärt er, warum es so wichtig ist, Technologie und Umwelt zu verbinden.

Regina Hock: Der Schwerpunkt bei den letzten Treffen des Digital Clubs lag auf Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Hast Du das Gefühl, dass die Jugendlichen, die beim Digital Club aktiv sind, sich verstärkt für Klimaschutz engagieren und digitale Tools erlernen wollen, die eine klimagerechte Zukunft befördern?

Axel Stolzenwaldt: Anfänglich sind die meisten gekommen, um einfach Programmieren zu lernen. Dass das Thema “Umweltschutz” war, schien für viele selbstverständlich zu sein. Es wird sowieso in ihrem Freundeskreis und Umfeld immer wieder diskutiert.

RH: Ihr baut kleine Messstationen, mit denen ihr den Schadstoffgehalt in der Luft ermittelt. Kannst Du kurz beschreiben, wie diese Messstationen funktionieren?

AS: Mit Sensoren kann man den Anteil von Gasen in der Luft messen, so z.B. den Sauerstoffgehalt oder den Gehalt an Stickoxiden. Diese Sensoren werden von einem Arduino ausgelesen, mit LEDs angezeigt und zur weiteren Verarbeitung an einen Raspberry Pi geliefert. Der Raspberry Pi wird dann zur Programmierung der optischen Darstellung auf einem Monitor genutzt. 

digital Club im museum für kommunikation

Für den Digital Club treffen sich Jugendliche ab 12 Jahren, die Interesse an Programmierung und dem Zusammenspiel von Technik, Ökologie und Gesellschaft haben, alle drei Wochen freitags von 15 bis 17.30 Uhr. Das letzte Digital Club-Treffen fand am 21. Februar 2020 statt. Die Teilnehmer*innen erwerben Kenntnisse in der Programmierung (Python und Processing/ Java), machen sich aber auch Gedanken über technische und gesellschaftliche Fragestellungen.    

 

RH: Welche Projekte habt Ihr noch realisiert?

AS: Das Projekt umfasst so viele einzelne Elemente – Aufbau der Messstation auf Arduino mit Sensoren und Programmierung der Visualisierung der Daten auf dem Raspberry -, dass man diese Elemente jeweils als eigene Projekte auffassen könnte. Der Digital Club ist als langfristiges Projekt angelegt: Die einzelnen Schritte bauen zwar auf den vorherigen Ergebnissen auf, sind aber auch als eigenständige Lerneinheiten zu betrachten.

Wir starten damit, dass wir erste Schritte mit Arduino machen und Erfahrungen in der Programmierung mit Python sammeln. Schritt für Schritt setzen wir dann Feuchtigkeits- und Temperatursensoren ein, mit denen wir Daten auslesen und Messwerte interpretieren. Dann stellen wir die Messdaten mittels Datenübertragung auf den Raspberry Pi grafisch dar. Wichtig sind auch die Experimente, bei denen wir Messungen an verschiedenen Stellen im Museum oder in der städtischen Umgebung machen. Die Jugendlichen erkennen schnell, dass Messungen abhängig sind von Ort und Zeit und verschiedene Standorte auch verschiedene ökologische Rahmenbedingungen mit sich bringen. 

RH: Warum ist es denn aus Deiner Sicht so wichtig, Technologie und Umwelt zusammenzudenken?

AS: Die Fragen, die mich umtreiben haben “Bits und Bäume” gut formuliert. Ganz grundsätzlich würde ich sagen: Digitaler Wandel treibt gesellschaftliche Veränderungen so stark an wie vor etwa 200 Jahren die industrielle Revolution. Für mich verbinden sich die Faszination von den technischen Möglichkeiten mit den Möglichkeiten der Entwicklung demokratischer Gesellschaften. Ich denke, es sollte nicht aus einer kulturkritischen Ablehnung technischer Entwicklungen heraus die Chancen zur aktiven Gestaltung einer Gesellschaft verpasst werden. Und hier ist die Entwicklung unserer Umwelt die zentrale Herausforderung.

Gerade diejenigen, die die Demokratisierung der Gesellschaft weiter entwickeln wollen und eine ökologische Katastrophe verhindern wollen, sollten die Gestaltung technologischer Strukturen nicht den gewinnorientierten IT-Konzernen überlassen. Und dazu gehört ein gewisses Maß an informationstechnischem Grundwissen.

RH: Wenn Zeit und Geld keine Rolle spielen würden, welche Software würdest Du gerne programmieren, um das Klima zu retten?

AS: Programmieren ist heute nicht mehr die individuelle Großtat eines mit Hoodie hinter dem Monitor kauernden Nerds, sondern Teamarbeit. 

Ich würde gern ein Team aufbauen, das die vorhandenen technischen Möglichkeiten nutzt, um die vorhandenen Datenmengen mit Hilfe neuronaler Netze so auszuwerten und zu präsentieren, dass Menschen bessere Informationen für Alltagsentscheidungen treffen können.

Axel Stolzenwaldt

Zum Beispiel: Wann wäre es für mich am sinnvollsten die Waschmaschine zu starten, damit im Stromnetz keine Spitzenbelastungen auftreten? Wie kann ich bei mir zu Hause aufgrund meines Lebensrhythmus die Energieversorgung am sinnvollsten steuern? Welches Essen ist heute aufgrund der aktuellen Ernte die beste Wahl: Lauch oder Spargel? Wichtig bei solchen Dingen: Es darf nicht zu einer Fremdsteuerung führen. Vielleicht will ich auch im Dezember Erdbeeren essen, ich sollte nur wissen, welche Voraussetzung und Folgen meine Entscheidung hat. Und meine Daten gehören immer noch mir. Ich will keine Vernetzung und Weitergabe meiner Daten an Dritte. Grundlage dieser Entwicklung ist das Modell FOSS, Free and Open Source Software.

Schön wäre auch noch ein Aufräumroboter, der mir die Wäsche und das Staubsaugen abnimmt ;-).

 

Der Blogtext entstand im Rahmen der Museumsweek zum Thema #climateMW.

Sieben Tage, sieben Hashtags: Wir stecken mitten in der #MuseumWeek. Weltweit posten Museen, Gallerien, Science Center, Bibliotheken und Archive jeden Tag zu einem Hashtag: Von #heroesMW über #CultureInQuarantineMW, #togetherMW zu #MuseumMomentsMW und natürlich an diesem Freitag #climateMW. Samstag und Sonntag folgen noch die beiden Hashtags #technologyMW und #dreamsMW. 

Interview: Regina Hock, 15. Mai 2020

Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Virologen sprechen davon, dass es sich bei Covid-19 um eine sogenannte „stille Pandemie“ handele – das Virus breitet sich rasend schnell, doch unbemerkt aus. Auch Städter*innen erleben jetzt in den Ballungszentren eine neue Stille: Der Verkehrslärm geht zurück, die Straßen sind unbelebt, Flugzeuge fliegen kaum … Jetzt, da wir uns an diese neue Stille gewöhnt haben, läge es dann nicht nahe, dass die Automobilbranche die Elektromobilität – die für eine Fortbewegung ohne Knattern steht – weiter vorantreibt und noch intensiver in diese Zukunftstechnologie investiert? Joel Fischer hat sich in Vorbereitung auf unsere Ausstellung „elektro ± mobil“ (21. März 2019 bis 13. Oktober 2019) intensiv mit den Vorzügen und Nachteilen der neuen Technologie beschäftigt. Er beantwortet uns hier im Blog, ob die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen durch Corona neuen Schwung in die (wie sich zeigen wird: alte) Debatte um Elektromobilität bringen wird. 
  • Glaubst Du, dass die neue Stille, die wir jetzt erleben die Elektromobilität weiter beflügeln wird?
Joel Fischer: Ja, es wäre schön, wenn sich die Stille fortsetzen würde. Da die Leute aber schon in den Startlöchern sind und vielfach über den verlorenen Sommerurlaub und verschobene Reisen klagen, wird sich nach dem Lockdown wahrscheinlich erstmal nichts verändern. Und: Die Flugzeuge werden so schnell nicht leiser werden. Auch das Verkehrsaufkommen kann durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge nicht reduziert werden.
Einfach die Antriebstechnik auszutauschen, reduziert nicht die Menge an Autos auf den Straßen und in den Innenstädten. Ich glaube nicht, dass die momentane Stille ein Argument für die Zukunft der Elektromobilität sein wird.
Joel Fischer

Rückblickend wird sie eher als ein “angenehmes Erlebnis” empfunden werden. So war es auch mit den autofreien Sonntagen. Das fanden die Menschen auch toll. Als die Einschränkungen aber aufgehoben wurden, waren alle froh, dass sie wieder mobil waren und die Straßen waren wieder voll. Ich sehe eher in den nun vielerorts verbesserten Schadstoffmesswerten einen Impuls, der möglicherweise zu einem Umdenken führen könnte. Doch auch hier stellt sich das Problem, dass wir derzeit in einer Sondersituation sind. Nach der Krise wird die Industrie wieder produzieren und der Verkehr wieder zunehmen – und dann ist alles beim Alten.
  • Gab es damals, als die Post elektrisch-angetriebene Fahrzeuge entwickelte, auch Überlegungen, wie sich die neue geräuscharme Fortbewegungsart auf unser Zusammenleben in Stadt und Land auswirken würde? 
Joel Fischer: Die frühen Elektroautos der Post waren gar nicht so leise, wie wir heute denken. In den 1920er-Jahren wurden die E-Autos der Post mit Ketten angetrieben. Das war zwar nicht so laut wie ein Benziner, doch es knatterte ziemlich. Später, in en 1950er-Jahren, waren sie dann etwas leiser, aber auch nicht geräuschlos. Die Fahrzeuge klangen, bzw. summten damals wie heute die S-Bahnen. Überlegungen zum Verkehrslärm gab es nachweislich Ende der 1950er-Jahre, als die Post aufhörte Elektroautos herzustellen, weil ein neues Steuergesetz kam, das den Unterhalt wesentlich verteuerte. Damals nannten Expert*innen unter anderem die Luftverschmutzung und den Lärm in den Städten als Grund, weshalb die Elektroautos weniger besteuert werden sollten. Der Bundestag ignorierte aber die Einwände. Zuvor galt das Elektroauto zwar als leises (Stadt-)Fahrzeug, aber anfänglich – in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts – ging es eher um den Benzin-Gestank, der bei den Elektroautos wegviel. Der Lärm der Motoren war damals auch ein Argument, aber umfangreiche Überlegungen zu den Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Stadt sind mir nicht bekannt.
  • Könntest Du eine Zukunftsprognose treffen, wie Deutschlands Schlüsselbranche, die Automobilindustrie, auf die Einschneidungen reagieren wird? Werden wir einen Boom der Elektromobilität erleben, jetzt, da auch der Ölpreis immer volatiler wird?
Joel Fischer: Ich glaube, dass niedrige Ölpreise eher gegen die Elektromobilität sprechen, weil dann das Autofahren mit Benziner billiger ist. Vor den Corona-Einschneidungen hat die Automobil-Branche ja bereits begonnen in die Elektromobilität zu investieren. Ich glaube, dass dieser Kurs auch nach dem Lockdown weitergeführt werden wird – ungeachtet der Ölpreise. Am Ende geht es ja um die Rohstoffknappheit und die Abhängigkeit vom (schwankenden) Ölpreis. Und der wird nach der Krise sicherlich wieder steigen. Von einem postpandemischen Boom gehe ich deshalb nicht aus. Die Entwicklung wird aber, denke ich, unbeirrt weitergeführt werden.
  • Wie stark bringen globale Verwerfungen (wie etwa die Ausbreitung des Virus) neue Technologien hervor? Welche Entwicklungssprünge in der Elektromobilität konntest Du beobachten, die getrieben waren von politischen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen? 
Katastrophen und Seuchen sind immer in gewisser Weise eine Zäsur, die auch technologische Entwicklungen beeinflussen. Im zweiten Weltkrieg beispielsweise erinnerte man sich an das Elektroauto, weil es nicht auf Öltransporte aus dem Ausland angewiesen war. Ebenso in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre.
Joel Fischer

Nach dem Krieg und als das Öl wieder da war, verlor sich das aber wieder. Ein direkter Zusammenhang für die Gesamtentwicklung durch “globale Verwerfungen” kann deshalb für die Elektromobilität nicht bestätigt werden. Ich glaube, dass die Corona-Pandemie eher in anderen technologischen Bereichen eine nachhaltige Auswirkung haben könnte. Der Lockdown forciert das mobile Arbeiten, das Homeoffice und damit die Digitalisierung. Auch privat spielen Kommunikationsmedien eine größere Rolle. Ich glaube, dass es eher in diesen Bereichen einen Zulauf geben wird. Insbesondere im Bereich des Homeoffice haben viele die Vorteile erkannt und bemerkt, dass das gar nicht so schlecht ist. Auch Skype-Gespräche oder Plattformen wie Zoom oder Jitsi finden Zulauf und werden sicherlich auch nach der Krise stärker genutzt. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen wird es im Bereich der Technologie aber höchstwahrscheinlich nicht geben. Aber man weiß ja nie. Ich bin gespannt, was kommen wird. 

Übrigens: Der Wagen La Jamais Contente (frz: Die nie Zufriedene), der auf dem Titelbild dieses Beitrags zu sehen ist, war ein elektrisch betriebener Geschwindigkeitsrekordwagen, der als erstes Straßenfahrzeug eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h erreichte.

Interview: Regina Hock, 25. April 2020
Wie wäre es, wenn …

Wie wäre es, wenn …

… wir in Health Coins, Eco Yuans und Crazy Royals entlohnt würden?

Eine eigentümliche Vorstellung − doch vielleicht ist das schon bald unsere Realität? Zumindest hat die Schriftstellerin Katharina Adler diese Vorahnung. Sie und sieben andere Literat*innen haben sich für das Projekt „Acht Visionen. Zukunft. Arbeit. Literatur“ in die Zukunft gedacht: Ihre Kurztexte beschreiben, wo wir in Zukunft arbeiten werden, welche Arbeit wir verrichten und wie wir mit unseren Kolleg*innen – egal ob Mensch oder Maschine – kommunizieren werden. In viermal zwei Lesungen stellen die Autor*innen ihre Texte im Museum für Kommunikation Frankfurt vor. „Acht Visionen“ ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Literaturhaus Frankfurt und Teil des Vernetzungsforums „Leben & Lernen X.0“, das gemeinsam mit den Bürger*innen Strategien erprobt, die uns dabei helfen, die digitale Transformation besser zu begreifen. Die letzte Lesung “Epilog und Buchpremiere” wurde auf den 24. Juni verschoben, es lesen Mariana Leky und Lukas Rietzschel. Am selben Abend wird auch die Begleitpublikation vorgestellt. 

Was hat es eigentlich mit dem Suppenteller auf sich?
Wie wäre es eigentlich, wenn wir keine festen Arbeitsplätze mehr hätten und jeden Tag wie Tischlein-wechsel-dich an einem neuen, mobilen Schreibtisch sitzen würden? Daniel Wisser stellt uns in seinem Text Frau Hechtler vor, eine Versicherungsangestellte. Wenn sie nach der Arbeit mit ihren Freundinnen in einer Bar sitzt, leert sie ihre Handtasche, und zum Vorschein kommen vier Dinge, die sie jeden Tag mit zur Arbeit nimmt: ihr Laptop, ihr Mobiltelefon, ein leerer Fotorahmen und ein Suppenteller.
Den Fotorahmen stellen die Mitarbeiter*innen der Versicherung als Mahnmal für den verloren gegangenen Schreibtisch auf: Ihnen ist es untersagt, persönliche Utensilien am Arbeitsplatz zu hinterlassen. Doch was hat es mit dem Suppenteller auf sich?
„Sie hatte auf diese Frage gewartet, lächelte, trank einen Schluck von ihrem Negroni und sagte, das sei eine noch viel wildere Geschichte.“
Daniel Wisser

Zukunftsmusik
Überhaupt, wie kann die wohltemperierte Work-Life-Balance gelingen? Werden wir zu Getriebenen, die gegen die bedin- gungslose Effizienz von Maschinen ankämpfen? Um Krankmeldungen entgegenzuwirken, würden Fabriken neuerdings Fitnessgeräte in einem Kabuff neben dem Fließband aufstellen, prognostiziert Isabelle Lehn in ihrem Text „Zukunftsmusik“. Wer sich bei der Arbeit verletze, der habe sich vorher eben nicht richtig aufgewärmt. „Human Resources“ werden an Grenzen getrieben, die sie vorher gar nicht kannten. Die „Zukunftsmusik“ von Isabelle Lehn ist ein Abgesang auf die Arbeit von Bürokräften, Hilfsarbeitern, Anlagen- und Maschinenbedienern: Sie verschwinden schleichend wie das Handwerk des Pechsieders. Schöne neue Arbeitswelt!
Welch Glücksgefühl: Eine Runde am Polyplay! 
Verglichen mit den Zwängen dieser vollautomatisierten und „durchdigitalisierten“ Welt leben die Kinder aus Bullerbü im analogen Paradies: ohne Smartphones, Tablets, Internet, Spielekonsolen und Alexa. Sie angeln, fangen Krebse und laufen im Winter Schlittschuh. Jochen Schmidt – Anhänger der Lindgren’schen Landidylle, doch dem technischen Fortschritt durchaus zugeneigt – erzählt in seinem Text von seiner sozialistischen Kindheit: Wie versteinerte Fossilien aus einer naturwissenschaftlichen Sammlung zählt er technische Geräte und Kommunikationsformen auf, die seine Jugend in der DDR geprägt haben. Sie zeugen von der langsam fortschreitenden Technisierung.

Welch Glücksgefühle kamen bei dem jugendlichen Helden auf, wenn eine Runde am „Polyplay“-Spielautomaten – einem in der DDR hergestellten Arcade-Spielautomaten – gezockt werden durfte! Das letzte Telegramm mit Glückwünschen von seiner Mutter erhielt Schmidt am Tag des Mauerfalls, zu seinem Geburtstag. Fürs Sprachenlernen hatte Schmidt lange Vokabellisten auf Kassette gesprochen und auf dem Walkman beim Zähneputzen und Einschlafen gehört, um sie sich besser einzuprägen. Die Liebe zu einem osteuropäischen Mädchen pflegte Schmidt per SMS. Damals setzte sich ein digitaler Kuss noch aus einem Doppelpunkt und einem Sternchen zusammen. Doch Schritt für Schritt wich Schmidts Technikbegeisterung einer tiefgreifenden Skepsis: Es gehe doch heute eher wieder darum, analoge Schutzräume – ähnlich den drei Höfen in Bullerbü – zu verteidigen. Eine letzte Bastion des Analogen sei auch das Briefeschreiben:

Doch „[s]obald ich aus dem Haus gehe, vergesse ich, daß ich einen Brief einwerfen wollte. […] Eine meiner Geschäftsideen ist deshalb brieferando.de, ein Service, bei dem der Briefträger die Briefe nicht zu einem nach Hause bringt, sondern sie von dort abholt und zum nächsten Briefkasten trägt.“

Jochen Schmidt

Noch Vision oder Realität?

Die Visionen der acht Autor*innen deuten zum Teil weit in die Zukunft. Doch in einigen Texten scheint die Wirklichkeit nur einen Steinwurf entfernt. Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität verschwimmen zu einem Gegenwartsbild, das unserer Lebensrealität sehr nahe kommt: Mitten im Digitalisierungsprozess, den wir durchlaufen, wissen wir nicht immer ganz genau, ob es sich noch um Vision handelt oder ob es schon längst Realität ist. Literatur kann uns dabei helfen, auf diese Prozesse zumindest ein wenig vorbereitet zu sein.

Ein Duo machte die acht Visionen noch komplett: Thomas von Steinaecker und Julia Wolf. Und zur Buchpremiere bestreiten Mariana Leky und Lukas Rietzschel noch einen Leseabend. Alle Texte werden in einer eigens für das Projekt zusammengestellten Publikation veröffentlicht.

Interviews und Ausschnitte aus den Lesungen von beteiligten Autori*innen bei hr2-kultur.

   

ACHT VISIONEN ist ein Projekt des Literaturhauses Frankfurt mit dem Museum für Kommunikation in Zusammenarbeit mit hr2-kultur. Gefördert von „experimente#digital“, der Kulturinitiative der Aventis Foundation, sowie dem Kulturamt Frankfurt am Main.  
Text: Regina Hock, 16. April 2020
Stay at Home-Empfehlungen: Hito Steyerl

Stay at Home-Empfehlungen: Hito Steyerl

Auch das Museumsteam tummelt sich derzeit auf verschiedenen Websites, entdeckt “Unentdecktes” im Netz und gibt Tipps, wie wir unseren Horizont in #stayathome-Zeiten erweitern können. Einige Ratschläge sind aus unserem Leben & Lernen X.0-Newsletter entnommen, der Euch regelmäßig über die neuesten Entwicklungen im Projekt informiert. Klickt mal über Euren digitalen Tellerrand hinaus! 

 

 

Regina Hock ist Pressereferentin am Museum für Kommunikation Frankfurt. Hier ist ihre Empfehlung für #stayathome:

 

Einige Internetphänomene, die ich jetzt zu Corona-Zeiten beobachte, lassen mich wahrlich staunen: Habt Ihr z.B. schon diese wundersamen Tarntechniken entdeckt, die Eltern entwickelt haben, denen zu Hause mit den Kindern die Decke auf den Kopf fällt? Vielleicht haben sie dabei auch einfach die fünf Lektionen von Hito Steyerl beherzigt, die ich Euch hier vorstellen möchte.

Wie wäre es eigentlich in unserer digitalen Welt einfach zu verschwinden? Keine digitalen Spuren zu hinterlassen und einfach unsichtbar zu werden? Eine mögliche Methode (aufgepasst Augenzwinkern!): Wir schrumpfen auf die Größe eines Pixels und entschlüpfen dadurch der allgegenwärtigen Überwachung. Oder aber wir tragen Tarnfarbe auf und legen der Bilderkennung im öffentlichen Raum das Handwerk. Verschwinden leichtgemacht, das erklärt Hito Steyerl in ihrem Werk HOW NOT TO BE SEEN: A F**king Didactic Educational .MOV File von 2013.

 

WIE MAN NICHT GESEHEN WIRD

Hito Steyer stellt fünf (zum Teil schreiend komische) Lektionen vor, um der digitalen Erfassung zu entkommen:

  • Lesson I: How to make something visible for a camera.
  • Lesson II: How not to be visible in plain sight.
  • Lesson III: How to become invisible by becoming a picture.
  • Lesson IV: How to become invisible by disappearing.
  • Lesson V: How to become invisible by merging in a world made of pictures.

 

SICHTBAR SEIN KANN TÖDLICH SEIN

Mehr Informationen zu Hito Steyerl und ihrem Kunstwerk How Not to Be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File gibt es bei MoMALearning oder auf der Seite der Tate Modern.

Die Situation, mit der die meisten Menschen konfrontiert sind, ist, dass sie für bestimmte Arten der Überwachung ständig sichtbar sind. Das ist bedauerlich, denke ich. Denn die Menschen möchten vielleicht dieser ständigen Überwachung entgehen. (…)

Die ursprüngliche Idee stammt aus einem Monty Python’s Flying Circus Sketch von 1970. Er heißt auch: “How Not to Be Seen”. Damit ist mein Film eine Art Hommage an diesen Sketch. Ich gebe den Zuschauer*innen eine Art Bedienungsanleitung für das Verschwinden an die Hand.

Hito Steyerl

Quelle: Tate Shots

Hito Steyerl lehrt als Professorin für Experimentalfilm und Video an der Universität der Künste in Berlin. Ihre Arbeiten präsentierte sie auf zahlreichen internationalen Ausstellungen, u.a. bei der documenta und den Skulptur Projekten Münster sowie auf der Biennale in Venedig.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen bereitet gerade eine große Überblicksausstellung von Hito Steyerl vor, die ab Juni auch im Centre Pompidou Paris gezeigt werden soll – sofern die Schau wegen Corona nicht verschoben wird. Bis dahin könnt Ihr einige dieser Tarntechniken vielleicht schonmal selbst testen.

 

Regina Hock, 6. April 2020

Schließung Museum und Einladung ins virtuelle Museum

Schließung Museum und Einladung ins virtuelle Museum

Es ist eine Ausnahmesituation: Das Museum für Kommunikation ist seit vergangenem Sonntag bis vorerst für Besucher*innen, physisch geschlossen. Führungen und Veranstaltungen vor Ort finden in den kommenden Wochen nicht statt. Die Ansteckungsgefahr ist zu groß und wir übernehmen Verantwortung für unsere Besucher*innen, unsere freien Mitarbeiter*innen und unser Team. Damit es zu Hause nicht langweilig wird, haben wir Angebote für die Couch.

Einladung ins virtuelle Museum

Wir sind auf unseren Social Media Kanälen aktiv und nutzen das Leben & Lernen Blog, um aus dem Homeoffice, in dem wir alle mit digitalen Tools unsere Arbeit organisieren, zu berichten. Wir laden außerdem ins virtuelle Museum ein: mit Expotizern zu unseren Ausstellungen, fortwährend kuratierten Online-Ausstellungen und Online-Sammlungspräsentationen. Das virtuelle Museum existiert seit Langem und wird verstärkt seit 2017 eingerichtet, auch hier mit den Aktivitäten bei Leben X.0 und mit dem Leben X.0-Podcast und diesem Blog, welches wir während der Schließung täglich bespielen werden. Unsere Inhalte teilen wir zudem via Facebook, Instagram, Youtube oder Twitter.

#neuland Online-Termine zum Vormerken

Von dieser Schließung des Museums ist auch die Eröffnung unserer neuen Sonderausstellung “#neuland: Ich, wir & die Digitalisierung”, eine Gemeinschaftsproduktion des Museumsstiftung Post & Telekommunikation und der Nemetschek Stiftung, betroffen. In den vergangenen zwei Wochen wurde hier im Museum für Kommunikation Frankfurt am Museumsufer mit Hochdruck am Ausstellungsaufbau unserer neuen Ausstellung gearbeitet. Unsere Museumstechniker*innen haben gezimmert und gebohrt, um die Ausstellung für Sie am Mittwoch, 25. März feierlich zu eröffnen. Da die Ausstellungseröffnung nicht wie gewohnt stattfinden kann, laden wir, das Museum für Kommunikation Frankfurt und die Nemetschek Stiftung zur digitalen Sneak Preview ein: am Mittwoch, 25. März 2020, 19 Uhr. Dorthin gelangen Sie über den #neuland-Expotizer sowie über die Facebook-Seite des Museums. Die Kuratorinnen sind online bei Twitter (#neulandAusstellung) sowie Facebook und beantworten Fragen. Im Anschluss werden weitere Seiten im Expotizer freigeschaltet, sodass man sich online mit den Themen der Ausstellung weiter beschäftigen kann.

Debatten-Dienstag online

“Wir müssen reden” heißt es beim Debatten-Dienstag. Es diskutieren Expert*innen gemeinsam mit der regionalen Bürgerschaft zu Themen der digitalen Diskussionskultur. Moderiert wird die Fishbowl-Veranstaltung von Tine Nowak. Dieses Mal ist unser Treffpunkt nicht der Lichthof des Museums für Kommunikation Frankfurt, sondern der digitale Raum. Der Debatten-Dienstag beschäftigt sich mit dem Thema: “Me, myself & I: Wer bin ich online?” Mit externen Gästen diskutieren wir mit Euch online. Hier kann man sich schon den Dienstag, 31. März 2020, 18.30-19.30 Uhr vormerken. Die Veranstaltung wird live über unsere Kanäle gestreamt.

Wir lesen uns hier im Blog und auf unseren Kanalen. Bleibt gesund, seid solidarisch und #flattenthecurve!

 

Autorin: Regina Hock
19. März 2020