Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Die Stille nach dem Knattern – neuer Auftrieb für die Elektromobilität?

Virologen sprechen davon, dass es sich bei Covid-19 um eine sogenannte „stille Pandemie“ handele – das Virus breitet sich rasend schnell, doch unbemerkt aus. Auch Städter*innen erleben jetzt in den Ballungszentren eine neue Stille: Der Verkehrslärm geht zurück, die Straßen sind unbelebt, Flugzeuge fliegen kaum … Jetzt, da wir uns an diese neue Stille gewöhnt haben, läge es dann nicht nahe, dass die Automobilbranche die Elektromobilität – die für eine Fortbewegung ohne Knattern steht – weiter vorantreibt und noch intensiver in diese Zukunftstechnologie investiert? Joel Fischer hat sich in Vorbereitung auf unsere Ausstellung „elektro ± mobil“ (21. März 2019 bis 13. Oktober 2019) intensiv mit den Vorzügen und Nachteilen der neuen Technologie beschäftigt. Er beantwortet uns hier im Blog, ob die wirtschaftlichen und politischen Verwerfungen durch Corona neuen Schwung in die (wie sich zeigen wird: alte) Debatte um Elektromobilität bringen wird. 
  • Glaubst Du, dass die neue Stille, die wir jetzt erleben die Elektromobilität weiter beflügeln wird?
Joel Fischer: Ja, es wäre schön, wenn sich die Stille fortsetzen würde. Da die Leute aber schon in den Startlöchern sind und vielfach über den verlorenen Sommerurlaub und verschobene Reisen klagen, wird sich nach dem Lockdown wahrscheinlich erstmal nichts verändern. Und: Die Flugzeuge werden so schnell nicht leiser werden. Auch das Verkehrsaufkommen kann durch den Umstieg auf Elektrofahrzeuge nicht reduziert werden.
Einfach die Antriebstechnik auszutauschen, reduziert nicht die Menge an Autos auf den Straßen und in den Innenstädten. Ich glaube nicht, dass die momentane Stille ein Argument für die Zukunft der Elektromobilität sein wird.
Joel Fischer

Rückblickend wird sie eher als ein “angenehmes Erlebnis” empfunden werden. So war es auch mit den autofreien Sonntagen. Das fanden die Menschen auch toll. Als die Einschränkungen aber aufgehoben wurden, waren alle froh, dass sie wieder mobil waren und die Straßen waren wieder voll. Ich sehe eher in den nun vielerorts verbesserten Schadstoffmesswerten einen Impuls, der möglicherweise zu einem Umdenken führen könnte. Doch auch hier stellt sich das Problem, dass wir derzeit in einer Sondersituation sind. Nach der Krise wird die Industrie wieder produzieren und der Verkehr wieder zunehmen – und dann ist alles beim Alten.
  • Gab es damals, als die Post elektrisch-angetriebene Fahrzeuge entwickelte, auch Überlegungen, wie sich die neue geräuscharme Fortbewegungsart auf unser Zusammenleben in Stadt und Land auswirken würde? 
Joel Fischer: Die frühen Elektroautos der Post waren gar nicht so leise, wie wir heute denken. In den 1920er-Jahren wurden die E-Autos der Post mit Ketten angetrieben. Das war zwar nicht so laut wie ein Benziner, doch es knatterte ziemlich. Später, in en 1950er-Jahren, waren sie dann etwas leiser, aber auch nicht geräuschlos. Die Fahrzeuge klangen, bzw. summten damals wie heute die S-Bahnen. Überlegungen zum Verkehrslärm gab es nachweislich Ende der 1950er-Jahre, als die Post aufhörte Elektroautos herzustellen, weil ein neues Steuergesetz kam, das den Unterhalt wesentlich verteuerte. Damals nannten Expert*innen unter anderem die Luftverschmutzung und den Lärm in den Städten als Grund, weshalb die Elektroautos weniger besteuert werden sollten. Der Bundestag ignorierte aber die Einwände. Zuvor galt das Elektroauto zwar als leises (Stadt-)Fahrzeug, aber anfänglich – in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts – ging es eher um den Benzin-Gestank, der bei den Elektroautos wegviel. Der Lärm der Motoren war damals auch ein Argument, aber umfangreiche Überlegungen zu den Auswirkungen auf das Zusammenleben in der Stadt sind mir nicht bekannt.
  • Könntest Du eine Zukunftsprognose treffen, wie Deutschlands Schlüsselbranche, die Automobilindustrie, auf die Einschneidungen reagieren wird? Werden wir einen Boom der Elektromobilität erleben, jetzt, da auch der Ölpreis immer volatiler wird?
Joel Fischer: Ich glaube, dass niedrige Ölpreise eher gegen die Elektromobilität sprechen, weil dann das Autofahren mit Benziner billiger ist. Vor den Corona-Einschneidungen hat die Automobil-Branche ja bereits begonnen in die Elektromobilität zu investieren. Ich glaube, dass dieser Kurs auch nach dem Lockdown weitergeführt werden wird – ungeachtet der Ölpreise. Am Ende geht es ja um die Rohstoffknappheit und die Abhängigkeit vom (schwankenden) Ölpreis. Und der wird nach der Krise sicherlich wieder steigen. Von einem postpandemischen Boom gehe ich deshalb nicht aus. Die Entwicklung wird aber, denke ich, unbeirrt weitergeführt werden.
  • Wie stark bringen globale Verwerfungen (wie etwa die Ausbreitung des Virus) neue Technologien hervor? Welche Entwicklungssprünge in der Elektromobilität konntest Du beobachten, die getrieben waren von politischen und gesamtgesellschaftlichen Veränderungen? 
Katastrophen und Seuchen sind immer in gewisser Weise eine Zäsur, die auch technologische Entwicklungen beeinflussen. Im zweiten Weltkrieg beispielsweise erinnerte man sich an das Elektroauto, weil es nicht auf Öltransporte aus dem Ausland angewiesen war. Ebenso in der Ölkrise Anfang der 1970er-Jahre.
Joel Fischer

Nach dem Krieg und als das Öl wieder da war, verlor sich das aber wieder. Ein direkter Zusammenhang für die Gesamtentwicklung durch “globale Verwerfungen” kann deshalb für die Elektromobilität nicht bestätigt werden. Ich glaube, dass die Corona-Pandemie eher in anderen technologischen Bereichen eine nachhaltige Auswirkung haben könnte. Der Lockdown forciert das mobile Arbeiten, das Homeoffice und damit die Digitalisierung. Auch privat spielen Kommunikationsmedien eine größere Rolle. Ich glaube, dass es eher in diesen Bereichen einen Zulauf geben wird. Insbesondere im Bereich des Homeoffice haben viele die Vorteile erkannt und bemerkt, dass das gar nicht so schlecht ist. Auch Skype-Gespräche oder Plattformen wie Zoom oder Jitsi finden Zulauf und werden sicherlich auch nach der Krise stärker genutzt. Gesamtgesellschaftliche Veränderungen wird es im Bereich der Technologie aber höchstwahrscheinlich nicht geben. Aber man weiß ja nie. Ich bin gespannt, was kommen wird. 

Übrigens: Der Wagen La Jamais Contente (frz: Die nie Zufriedene), der auf dem Titelbild dieses Beitrags zu sehen ist, war ein elektrisch betriebener Geschwindigkeitsrekordwagen, der als erstes Straßenfahrzeug eine Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h erreichte.

Interview: Regina Hock, 25. April 2020