Die Kustodin Dr. Tina Kubot beschreibt für uns beispielhaft den Weg der letzten Neuzugänge in das Depot in Heusenstamm und gibt Einblicke in die Überlegungen zum Konzept hinter der Sammlung. Nicht zuletzt sorgen auch etwas Glück und der Zufall für angenehme Überraschungen.

 

Wie gelangen eigentlich die Objekte in die Sammlung?
Dr. Tina Kubot

Kustodin für den Sammlungsbereich Mediengeschichte

Trotz Corona steht die Welt nicht vollkommen still, auch wenn es manchmal den Anschein erweckte. Die Zeit läuft weiter, und so rückte auch der Termin zur besenreinen Übergabe des letzten großen Evonik-Standortes in Frankfurt am Main näher. Der Standort, der vorher ein großes Rechenzentrum beherbergte, war schon länger aufgegeben, die IT sollte auf das große Firmengelände nach Hanau umziehen.

Was hat das mit der Sammlung zu tun?

 

Dieses Rechenzentrum pflegte eine Sammlung, für die am neuen Standort der Platz fehlte. Historische Objekte werden in heutigen Firmenstrukturen kaum noch aufbewahrt oder gesammelt, da der vorhandene Platz in der Regel anderweitig benötigt wird und die Lagerung auch Kosten verursacht. So ist es vor allem dem Engagement Einzelner zu verdanken, wenn diese Schätze nicht direkt entsorgt, sondern zuvor noch dem Museum angeboten werden. Auch in diesem Fall haben wir die Neuzugänge einer solchen Initiative zu verdanken und wurden angefragt, ob wir Interesse an Lochkartenmaschinen hätten. Entsprechende Geräte, insbesondere aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, waren bisher in der Sammlung unterrepräsentiert, weshalb wir uns darüber freuten, die Objekte übernehmen zu können.

Wir sind zwar keine dezidierte Computersammlung, wie zum Beispiel die Kollegen vom Heinz-Nixdorf-Forum, aber die Informationstechnik ist gerade in der heutigen Zeit aus unserem Kommunikationsverhalten nicht mehr wegzudenken. Außerdem waren unsere stiftungstragenden Unternehmen Post und Telekom in den Anfängen der Digitalisierung die Netzbetreiber und -entwickler. Um den Weg dorthin sinnvoll nachzeichnen zu können, ergänzen wir die Sammlung um einzelne aussagekräftige Objekte zu Computergeschichte, auch wenn sie nicht zum Kernsammelbereich gehören.

Schöne Überraschung

 

Nun war der Endzeitpunkt der Räumung gekommen: Montag, der 18. Mai. Der Anruf kam am Donnerstag spätnachmittags. Da gab es keinen anderen Weg mehr, die Objekte mussten dort weg und in unser Depot, sonst wären sie verloren. Also einen LKW besorgt und unter allen Sicherheitsvorkehrungen nur mit der Mindestbesatzung auf den Weg gemacht.

Und wie es so oft ist, wenn man dann vor Ort steht: „Wir hätten da auch noch… möchten Sie nicht mal schauen?“ Klar, schauen wollen wir meistens. An dieser Stelle war noch ein kompletter Raum mit einer Großrechenanlage zur Datenverarbeitung anzuschauen.

Der Erhaltungszustand war ausgezeichnet, die Anlage war vollständig, die Provenienz, also Herkunft des Objektes, bekannt.

 

Ob das Objekt, das die Ausmaße einer größeren Einbauküche hat, die Sammlung ergänzt, konnte so schnell nicht festgestellt werden, so dass wir es vorsichtshalber auch ins Depot überführten. Es handelte sich nun insgesamt um zwei LKW-Ladungen voll Rechentechnik, deren summierte Rechenleistung noch deutlich unter der eines heutigen Smartphones liegt.

Was kommt in die Sammlung?

Im Depot angekommen, konnten wir uns in Ruhe der Identifizierung und Recherche widmen. Wir bekamen also:

Einen Lochkartensortierer der Rheinmetall-Lochkarten-Maschinen-GmbH, im Einsatz bei der Degussa. Die Plakette mit dem Firmennamen liefert uns gleich die Datierung, denn diese GmbH wurde 1928 gegründet und im gleichen Jahr von IBM aufgekauft.

Eine Maschine zur automatisierten Datenverarbeitung Powers LK1 von 1939/1940, die die auf Lochkarten erfassten Buchungen addieren, saldieren und die Salden auf eine Papierrolle gedruckt ausgeben kann. Auch diese Maschine war bei der Degussa im Einsatz, die 2007 in die Evonik eingegliedert wurde

Ein Magnetkonten-Buchungssystem Philips P354, das spezielle, schnellheftergroße Karten mit einem Magnetstreifen verarbeitet hat, um Kontierungsvorgänge durchzuführen. Auf diesen Karten waren neben dem Magnetstreifen die Daten in Klartext gedruckt, so dass der Bediener direkt sehen konnte, was auf dem Datenträger ist.

Dazu kommen Zusatzgeräte zur Verarbeitung der Daten, Sortierung von Karten und Speicherung der erzeugten Daten auf Loch- oder Magnetband oder sogar schon auf einer Festplatte. Diese hatte allerdings noch 30 cm Durchmesser und wog über 5 Kilogramm.

Auf der Kernspeichermatrix, dem Äquivalent zum heutigen RAM-Speicher, mit 8 bit/mm Speicherdichte konnte die Zentraleinheit 1000 Wörter zur Verarbeitung zwischenspeichern. Ein Aufkleber an der Zentraleinheit zeigt uns, dass das Gerät am 13.04.1973 für die Chemische Fabrik Grünau produziert wurde. Die Chemische Fabrik Grünau wurde in Berlin gegründet, die Gesellschaft 1949 nach Frankfurt am Main und 1961 nach Illertissen in Bayern verlegt. Die Degussa hielt seit 1921 eine Aktienmehrheit an der chemischen Fabrik.

Willkommen in der Sammlung!

Im nächsten Arbeitsschritt werden die Objekte inventarisiert und gereinigt, bevor sie an ihren endgültigen Standort im Magazin umziehen.

 

Text: Tina Kubot
3. Juni 2020